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Nachruf auf Dr. Maik Hendrik Sprotte (1964–2023)


Viel zu früh mussten wir von unserem hochgeschätzten Kollegen Herrn Dr. Maik Hendrik Sprotte Abschied nehmen. Mitten in seinem engagierten Arbeitsleben verstarb er am 3. Dezember 2023 im Alter von nur 59 Jahren. Über den bitteren persönlichen Verlust hinaus hinterlässt er mit seinem unermüdlichen Einsatz für unsere Studierenden eine große Lücke am Berliner Institut für Japanologie und, mit seinem vielfältigen Engagement zur historischen Japanforschung, ebenso in der deutschsprachigen Japanologie. 

Schon lange stellte Dr. Sprotte seiner persönlichen Webseite den folgenden berühmten Ausspruch aus Zeamis Nō-Schrift Kakyō voran: Shoshin wasuru-bekarazu, d.h. „Man darf seine ursprüngliche Absicht nicht vergessen“. Folgt man dem Lebenslauf von Maik Sprotte, so zeigt sich, wie sehr er diesem Ausspruch als Vollblut-Japanologe und Historiker des Modernen Japan gerecht wurde, wie früh er sich von der Geschichte, Sprache und Kultur Japans begeistern ließ und bis zuletzt seine Mitmenschen – Studierende und KollegInnen ebenso wie ein allgemeines Publikum – an dieser ursprünglichen Begeisterung teilhaben ließ. 

Geboren am 17. September 1964 in Bad Harzburg, verbrachte Maik seine Schuljahre in Braunschweig, wo er auf dem dortigen Gymnasium durch einen Japan-affinen Lehrer bereits früh mit der Kultur und Geschichte des Landes vertraut gemacht wurde. So beschloss er nach seinem Grundwehrdienst, Japanologie an der Universität Bonn zu studieren, mit den Nebenfächern Politik und Vergleichender Religionswissenschaft. Die politische Geschichte Japans blieb Zeit seines Forscherlebens ein Kernthema, aber auch religionswissenschaftliche Aspekte fanden Niederschlag in seinen Publikationen. Statt eines Besuchs an einer japanischen Universität absolvierte Maik während seines Studiums einen einjährigen Intensivkurs an einer Sprachschule in Tokyo und legte kurze Zeit später die höchste Stufe des JLPT ab. Die hohe Sprachbeherrschung ermöglichte ihm einen Nebenjob als Redaktioneller Mitarbeiter in der Bonner Vertretung mehrerer japanischer Tageszeitungen. Beide Erfahrungen prägten seine spätere Arbeit: Japanisch war nach Deutsch für Maik Sprotte die nächstliegende Publikations- und Vortragssprache (noch vor Englisch), und Übersetzungen aus dem Japanischen waren ein wichtiger Teil seiner Forschungstätigkeit. Medienarbeit und die Vermittlung auch tagespolitischer Themen blieben ihm zudem ein großes Anliegen bis in die jüngste Zeit. 

Nach einem Magisterabschluss mit einer Arbeit über die Hochverratsaffäre (1910/11) wurde Maik Sprotte 2001 in Bonn mit einer Dissertation über die frühsozialistische Bewegung im Japan der Meiji-Zeit promoviert. Seine Forschungsergebnisse, die er in einer Monographie (Konfliktaustragung in autoritären Herrschaftssystemen, 2001) und zahlreichen deutsch- und japanischsprachigen Aufsätzen (z.B. in Shoki shakai-shugi kenkyū) veröffentlichte, fanden auch in Japan hohe Anerkennung: Auf Einladung der Waseda-Universität hielt er 2003 einen Vortrag zum 100. Gründungsjubiläum der Heiminsha und auch später noch führten ihn seine engen Kontakte mit japanischen KollegInnen zu zahlreichen Forschungsaufenthalten an verschiedenen Universitäten in Tokyo (Hitotsubashi, Senshū, Waseda, Tōdai). 

Das Jahr 2001 markierte auch den Beginn seiner beruflichen Laufbahn als Japanologe, die ihn über die folgenden 22 Jahre von Heidelberg über Halle mit kurzen Zwischenstationen in Leipzig und Duisburg schließlich nach Berlin führte. Seine mehr als siebenjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent am Japanologischen Seminar in Heidelberg war geprägt von der arbeitsreichen Umstellung des dortigen Lehrbetriebs auf BA- und MA-Studiengänge. Trotzdem fand er Zeit, am dortigen Seminar kleinere Ausstellungen zu ausgewählten Themen zu gestalten, wie z.B. zum hundertjährigen Gedenken an den Russisch-Japanischen Krieg, zu dem er auch in leitender Verantwortung einen Sammelband mitherausgab (2007). 

In die Heidelberger Zeit fielen zudem die beiden Initiativen, die die deutschsprachige Japanologie bis heute nachhaltig bereichern: Seit 2003 war er Initiator und Mitbegründer der „Initiative zur historischen Japanforschung“, die seitdem mit 39 halbjährlichen Treffen (viele davon unter seiner Mitorganisation) zu den wohl aktivsten benkyō-/kenkyū-kai der deutschsprachigen Japanologie gehört und historisch Interessierte vom MA- bis zum Emeritus/a-Level als TeilnehmerInnen versammelt. Ebenfalls ab 2003 (seit 2015 als alleiniger Administrator) baute er die „Bibliographie zur historischen Japanforschung“ mit auf, zu deren Aktualisierung er in J-Studien die Fachgemeinde immer wieder aufrief und die im August 2023 ihren 3000-sten Datensatz verzeichnen konnte. 

Im Jahre 2008 ging er an die Universität Halle-Wittenberg, an der er in verschiedenen Assoziationsverhältnissen bis 2016 blieb. So war er mehrmalig an dem dortigen Internationalen Graduiertenkolleg „Formenwandel der Bürgergesellschaft. Japan und Deutschland im Vergleich“ tätig, dessen Schriftenreihe er maßgeblich mitbetreute, aber auch am Institut für Politikwissenschaft und Japanologie sowie am Lehrstuhl Neuere und Neueste Geschichte am Institut für Geschichte. Bei der DFG warb er zudem eine eigene Stelle ein mit dem Forschungsprojekt „Nachbarschaftsgruppen (tonarigumi 隣組) in Japan (1940-1945): Die Mobilisierung des Alltags der Kriegsjahre in vergleichend historisch-sozialwissenschaftlicher Perspektive“. 

Nach einem Lehrauftrag an der Japanologie Leipzig im Sommer 2016 und einer kurzen Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl „Politik Japans“ in Duisburg im Wintersemester 2016/17 kam er dann zum Sommer 2017 an die Japanologie der Freien Universität, wo er zunächst als Gastdozent, dann als Gastprofessor zur Vertretung der Professur für Sozial- und Kulturgeschichte Japans arbeitete. Ab Winter 2019 bekleidete er schließlich eine Dauerstelle am Arbeitsbereich Kultur und Geschichte des Modernen Japan. 

So vielseitig Maik Sprottes Interessen in der Forschung waren, so umfangreich war auch sein Repertoire an Themen in der Lehre, der er sich nun insbesondere an der FU widmete. Das Angebot der Lehrveranstaltungen (oft mit einfallsreichen Titeln versehen) reichte von Seminaren zur Sozial- und Kulturgeschichte von der Meiji- bis zur Heisei-Zeit, Formen der politischen Partizipation und des (gewaltsamen) Protests bis hin zur Behandlung religionsgeschichtlicher Aspekte, der Entwicklung von Neologismen in der Moderne oder zum Beispiel auch der Rolle von Gerüchten oder „Fake News“ in der Geschichte Japans. Und immer wieder bot er Seminare zur japanischen Monarchie in Geschichte und Gegenwart an, ein Thema, an dem ihm besonders gelegen war und zu dem er auch eine Buchveröffentlichung plante. So erschloss er Studierenden einen ganz eigenen und originellen Zugang zur japanischen Geschichte, oft mit liebevoll ausgewähltem Quellenmaterial und zum Teil eigens für den Unterricht angefertigten Podcasts. 

Unterrichten war Maik Sprotte eine Herzensangelegenheit, und so beschrieb er selbst das Leitbild seiner Lehre wie folgt: „Jenseits der Beschränkungen und Vorgaben des Studienplanes einer konkreten Studienordnung waren für die teilnehmenden Studierenden wie für mich die Lehrveranstaltungen die am erfolgreichsten, in denen ich überzeugend meine Faszination und Neugierde für ein Forschungsthema vermitteln und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der Aussicht auf einen Erkenntnisgewinn „infizieren“ konnte“. Diese Haltung prägte auch Maik Sprottes Einsatz als Bachelor-Beauftragter, wenn er in den Mitarbeiterbesprechungen mit viel institutioneller Skepsis, aber liebenswürdigem Humor und Idealismus die Belange der Studierenden referierte. 

Die Faszination für Japans Geschichte und Gesellschaft über die Mauern der Universität hinauszutragen, war ihm ebenfalls ein zentrales Anliegen, zum einen durch sein Engagement für die Einbeziehung Japans bereits in den schulischen Geschichtsunterricht; zum anderen aber durch eine breite Medienarbeit in Radio- und Fernsehinterviews insbesondere zu den jüngsten Vorgängen im japanischen Kaiserhaus. Dabei zahlte sich seine frühe journalistische Erfahrung sicherlich noch einmal aus. Diese erkennt man auch an den Blog-Beiträgen, die Maik Sprotte zwischen 2012 und 2021 verfasste und die immer noch lesenswert sind. 

In den letzten Jahren verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Nichtsdestotrotz setzte er seine Lehr- und Beratungstätigkeit mit gleichbleibender Leidenschaft und einer beachtlichen Selbstdisziplin fort. Als Maik Sprotte am 3. Dezember 2023 plötzlich verstarb, kam dies daher für alle ihm Nahestehenden, für seine KollegInnen und Studierenden völlig unerwartet und als großer Schock. Über den persönlichen Verlust hinaus hat die deutschsprachige Japanologie damit einen Zeit seines – viel zu kurzen, aber ausgefüllten – Lebens von Anfang an neugierigen, begeisterten und begeisternden Historiker des modernen Japan verloren. 

Urs Matthias Zachmann
Verena Blechinger-Talcott
im Namen der Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Japanologie der Freien Universität Berlin

Persönliche Webseite von Maik Hendrick Sprotte: https://www.sprotte.name/

Datenbank „Bibliographie zur historischen Japanforschung“: https://www.historische-japanforschung.de




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